LEBENSRAUM STUTTGART

Im Talkessel von Stuttgart fühlen sich die Amazonen sichtbar wohl. Hier herrscht ein etwas milderes Klima als im Umland und es gibt seltener Nachtfrost. Zahlreiche kleine und große Parkanlagen, nahe dem Zentrum, dienen den Amazonen als Brutgebiet oder als Futterstelle. Ihr Gebiet für die Futtersuche erstreckt sich über einen Radius von circa fünf Kilometern. Nur sehr selten wurden Amazonen außerhalb des üblichen Gebietes beobachtet. Wälder und Orte mit sehr dichtem Baumbestand werden von den Amazonen gemieden. Sie ziehen kleine Grünflächen mit überschaubarem Bestand an Bäumen wie Kleingärten, Parkanlagen, Spielplätze, Friedhöfe und bepflanzte Innenhöfe für ihre Futtersuche vor. Je reichhaltiger und abwechslungsreicher das Gebiet ist, desto häufiger und auch länger konnte ich sie dort schon beobachten.

Eine Gruppe Gelbkopfamazonen sammeln sich

Die Cannstatter Innenstadt dient den Papageien das ganze Jahr über als Schlafplatz, wobei im Frühjahr und im Sommer nur vereinzelte Amazonen das Gebiet für die Übernachtung aufsuchen, während sie sich im Herbst und Winter dort zu einem kompletten Schwarm versammeln. Es ist ein Schauspiel der besonderen Art, wenn man kurz vor Sonnenuntergang die Amazonen an den Schlafplätzen einfliegen sieht. In großer Höhe kommen sie als Paar oder in Gruppen angeflogen und seilen sich dann in kreisendem Flug mit rasanter Geschwindigkeit ab, um sicher in den Baumkronen zu landen. Begleitet wird das Spektakel von unzähligen Rufen. Das außergewöhnliche Konzert endet meistens erst, wenn auch der letzte Lichtstrahl verschwunden ist.

Die Parkanlagen des Rosensteinparks, des Stuttgarter Schlossgartens und der Wilhelma bieten mit deren Bestand an sehr alten Bäumen hervorragende Brutplätze. Für ihre Brut bevorzugen die Amazonen sehr gerne die Platane (Platanus). Die Bäume haben eine sehr glatte Rinde und viele der Platanen im Park sind mittlerweile sehr alt. Abgebrochene Äste sorgten im Laufe der Zeit dafür, dass sich an den Bruchstellen Hohlräume bildeten. Diese Baumhöhlen werden von den Papageien zum brüten und für die Aufzucht ihrer Jungen genutzt.

Zwei junge Gelbkopfamazonen schauen aus der Bruthöhle heraus

Die Population der standorttreuen Amazonen wächst nur sehr langsam. Im den beiden Wintern 2017 auf 2018 und 2018 auf 2019 konnte ich insgesamt 65 Amazonen zählen, inklusive jeweils einer Amazone, welche sich gerade in Obhut befand, um sich von Verletzungen zu erholen.

Gefahren und Feinde

Das Leben der wilden Papageien in Stuttgart ist von vielen Gefahren geprägt. Zu ihren natürlichen Feinden zählen der Habicht, Sperber und Wanderfalke. In ihrer ursprünglichen Heimat in Zentralamerika kommen nestraubende Tiere wie zum Beispiel Affen und Schlangen hinzu.

Hier bei uns sind sie in den Brutbäumen relativ sicher. Für Eichhörnchen, Elstern und Spechte liegen die Eier meistens zu tief in den Baumhöhlen und die Weibchen verlassen ihr Nest nur für eine sehr kurze Zeit. Die meisten Unfälle, welche gemeldet werden, sind Kollisionen mit Autos und Fensterscheiben von Häusern. Die Amazonen fressen häufig auf dem Boden und beim plötzlichen Auffliegen können sie leicht von einem vorbeifahrenden Auto erfasst werden.

In den letzten Jahren sind jeweils acht bis fünfzehn Amazonen pro Jahr verschwunden, wobei in ihren ersten drei Lebensjahren die Sterblichkeit der Amazonen am höchsten ist. Aber auch Partnerverluste von älteren Tieren kommen mehrmals jährlich vor.

Eine Gruppe Amazonen sucht auf dem Boden nach Baumhauselnüssen

Die Amazonen und Stuttgart 21

Wie in ihrer Heimat in Zentralamerika, ist auch in Stuttgart ihr Lebensraum stark bedroht. Keiner weiss, inwiefern der Bau von Stuttgart 21 sich auf die bestehenden alten Bäume der Grünanlagen auswirken wird. Das Abpumpen des Grundwassers könnte zu einem Sterben der Platanen führen. Da diese auf Veränderung des Wasserhaushaltes sehr empfindlich reagieren. 

Ein Tunnel wird direkt unter dem Rosensteinpark hindurch gebaut. Die Wurzeln der darüber wachsenden Bäume könnten hierbei beschädigt werden. Die zahlreiche alten Platanen im Rosensteinpark und Schlossgarten stellen die so wichtigen Brutplätze zur Verfügung. Der Abriss der vorhanden Gleise steht noch an, diese laufen keine 10 Meter an den genutzten Brutbäumen entfernt entlang. Es bleibt abzuwarten, wie heftig die Auswirkung der Bauarbeiten sich auf die Amazonenpopulation auswirken wird.